Liebe Kinder aufgepasst: warum aus Hänschen manchmal kein Hans wird

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Das Leben mit Kindern ist anstrengend und total spassig. Ständig entwickeln sich die kleinen Menschen weiter, und irgendwann merkt man, dass sie gar nicht mehr klein sind. Im Idealfall sind es dann junge Menschen, die die Welt entdecken, die anfangen ein selbständiges Leben zu leben, ihre eigenen Erfahrungen machen und gerne nach Hause zu den Eltern zu Besuch kommen. Auf dem Weg dahin gibt es wahrscheinlich unendlich viele Bücher, Kinderlieder, Diskussionen, Auseinandersetzungen, Freude, Null Bock Phasen, Lachen, „Meine Eltern sind total daneben“-Phasen und vieles mehr. Apropos Kinderlieder.

Bild von State Library of Victoria Collections / CC BY 2.0

Da fällt mir „Hänschen klein“ ein. Wir alle kennen das Lied, haben es entweder selbst als Kinder vorgesungen bekommen oder singen es unseren Kindern vor.

Häufig gesungene Kurzversion

Hänschen klein ging allein
in die weite Welt hinein.
Stock und Hut, steht ihm gut,
ist gar wohlgemut.
Aber Mutter weinet sehr,
hat ja nun kein Hänschen mehr.
da besinnt sich das Kind,
läuft nach Haus geschwind.

Originalversion in kompletter Länge

Hänschen klein
Ging allein
In die weite Welt hinein.
Stock und Hut
Steht ihm gut,
Ist gar wohlgemut.
Doch die Mutter weinet sehr,
Hat ja nun kein Hänschen mehr!
„Wünsch dir Glück!“
Sagt ihr Blick,
„Kehr´ nur bald zurück!“

Sieben Jahr
Trüb und klar
Hänschen in der Fremde war.
Da besinnt sich das Kind,
Eilt nach Haus geschwind.
Doch nun ist’s kein Hänschen mehr.
Nein, ein großer Hans ist er.
Braun gebrannt
Stirn und Hand.
Wird er wohl erkannt?

Eins, zwei, drei
Geh´n vorbei,
Wissen nicht, wer das wohl sei.
Schwester spricht:
„Welch Gesicht?“
Kennt den Bruder nicht.
Kommt daher sein Mütterlein,
Schaut ihm kaum ins Aug hinein,
Ruft sie schon:
„Hans, mein Sohn!
Grüß dich Gott, mein Sohn!“

Die Diskrepanz beider Versionen

Warum wird meist die Kurzversion des Liedes gesungen? Der einfachste Grund wäre zu sagen, dass Eltern sich den langen Text nicht merken können. Ein weiterer Grund könnte in der Unfähigkeit des Singens liegen. In der Kürze mag vielleicht Würze liegen, aber manchmal eben auch kleine, nicht unerhebliche Abweichungen in der Grundaussage. Durch das Weinen der Mutter in der Kurzversion steht das Kind vor einer inneren Zerrissenheit. Gerne würde es in die Welt hinausgehen, seine eigenen Erfahrungen machen, aber letztendlich erträgt es das Kind nicht seine Mutter weinen zu sehen. Folglich bleibt das „Kind“ bei der Mutter.

In der Originalversion liest sich der Text ganz anders. Wortwörtlich steht da:

„Wünsch dir Glück!“ Sagt ihr Blick, „Kehr´ nur bald zurück!“

Das liest sich doch gleich viel besser. Ja, die Mutter ist traurig, sie weint auch. Aber sie schenkt ihrem Kind die Unterstützung, die es benötigt, um seine eigenen Erfahrungen sammeln zu können. Sieben Jahre lang ist Hänschen nun unterwegs, erlebt Höhen und Tiefen. Dann kehrt er als Hans nach Hause zurück. In der Kurzfassung wird Hänschen also immer Hänschen bleiben, während Hänschen in der Originalfassung zum Hans werden darf. Ungerecht.

Ach was, eigentlich schreibe ich das gerade alles nur nieder, weil ich es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal lesen möchte. Zu dem Zeitpunkt, an dem unsere Kinder ausziehen und die Welt erobern wollen. Ich möchte sie dabei so gut wie möglich unterstützen und auch die einzelnen Entwicklungsschritte bis dahin Stück für Stück miterleben.

Keine Ahnung, wie viele kleine Trennungsprozesse zwischen Eltern und Kindern auf uns zukommen werden, aber wir werden sie meistern und hoffentlich unseren Kindern gute Eltern sein. So gut, dass sie später gerne nach Hause zurückkommen und mit uns ein paar Bier trinken und sich mit uns unterhalten wollen. An einem dieser Abende werde ich ihnen dann diesen Text hier zeigen.

P.S. Wenn also aus Hänschen kein Hans wird liegt das in sehr vielen Fällen an den Eltern, die es nicht schaffen ihr Kind loszulassen. Egal ob Mutter oder Vater.

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