Ihr kennt das #FirstWorldProblems Meme, oder? User posten auf Twitter unter diesem Hashtag allerlei „belanglose“ Dinge, jedoch meist mit der nötigen Portion Ironie. Ein erfundenes Beispiel wäre folgender Tweet: „Im Bett liegen und nicht an den Lichtschalter kommen. #FirstWorldProblems“ Die Werber von DDB New York bedienten sich einiger #FirstWorldProblems Tweets, um die „Hashtag Killer“ Kampagne (pro Bono) für WATERisLIFE umzusetzen. Ziel war es Spenden für „WATERisLIFE“ zu generieren und den Hashtag #FirstWorldProblems von Twitter zu verbannen.
Eine absurde Kampagne
Für sich genommen ist die Idee hinter der Kampagne fast genial. In kurzen Worten: „wir fliegen nach Haiti und filmen Menschen in Armut, während sie einige #FirstWorldProblems Tweets vorlesen. Anschliessend schneiden wir das Video und schicken dieses als Antwort an den Urheber des Tweets.“ Diesem wird bewusst, dass #FirstWorldProblems total unnötig ist, da es viel größere, die Existenz (= das Leben) bedrohende Probleme gibt. (was natürlich zutrifft, aber nicht die Intention des Meme ist. Der Witz dahinter ist ja: #FirstWorldProblems sind keine Probleme). Natürlich wird dem User dann auch eine Möglichkeit angeboten, um zu Spenden. Was absolut ok ist. Ehrlich. Aber das ändert nichts an den Auffälligkeiten der Kampagnenumsetzung.
Das 60 Sekunden „Hashtag Killer“ Anthem
Auffälligkeiten bei der Umsetzung der Kampagne
Wer in der Werbebranche arbeitet weiss, dass Kampagnen sehr oft nur aus einem Grund heraus konzipiert werden: „Awards“ gewinnen. Einen goldenen Löwen in Cannes, Gold beim ADC usw. Dafür gibt es Punkte in einem Kreativranking. Wer die meisten Punkte hat, gewinnt das Kreativranking. Doch ich will gar nicht so sehr ins Detail gehen. Um was es mir geht sind einige Ungereimtheiten bei dieser Kampagne und um Transparenz.
Auffälligkeit 1
Die Grafiker von DDB New York haben von den Tweets der betreffenden User einen Screenshot gemacht und in ein einheitliches Layout gesetzt. Ist dies wirklich von Vorteil? Nehmen wir an, ich hätte einen #FirstWorldProblems Tweet verfasst und der wäre in der Kampagne aufgetaucht. Hätte ich mich wiederkannt, wenn DDB mir ein Video gesendet hätte? Nö, meine Twitter Seite ist knallgelb. Weiterhin hat sich durch die Vereinheitlichung der Fehler eingeschlichen, dass alle Tweets nun 100+ Retweets von den gleichen Personen haben, was gar nicht der Fall ist. (in den Screenshots unten rot markiert)
Auffälligkeit 2
Jedes der Videos startet mit:
On October 2nd, you tweeted…
Davon abgesehen, dass alle 8 Tweets zwischen dem 2. und 4. Oktober geschrieben wurden, riecht das Ganze schon ein bisschen nach Fake, oder? Die erste Frage, die sich mir stellt: warum macht sich DDB nicht die Mühe „Influencer“ zu identifizieren, die dann einen „viralen“ Effekt auslösen und die Kampagne weiter verbreiten könnten? Wieso macht man sich die Mühe, all diese Videoantworten an Twitter User zu senden, von denen keiner eine nennenswerte Anzahl an Followern besitzt? Wenn ich möchte, dass sich eine Kampagne viral verbreitet, so wie DDB sich das wünscht, dann würde ich alles daran setzen, den „richtigen“ Twitter Usern eine Video-Antwort zu schicken.
Auffälligkeit 3
Die Verfasser der ursprünglichen #FirstWorldProblems Tweets. Wer sind die Menschen, die diese Tweets geschrieben haben? Da helfen soziale Netzwerke wie Linkedin weiter. Dort, wo Verbindungen offen dargestellt werden. Michael Schilling, der diesen Tweet zur Kampagne beisteuerte, war zum Beispiel bei Hill Holliday, einer bekannten amerikanischen Werbeagentur, tätig. Wie überhaupt auffällig viele Tweet-Schreiberlinge in der Werbebranche arbeiten. Komisch, vier davon waren bei Hill Holiday beschäftigt. Auch Frank Cartagena, Werbetexter bei DDB New York, war früher bei Hill Holiday. Auf der Webseite von Frank Cartagena steht, dass er direkt an der Erstellung der „Hashtag Killer“ Kampagne beteiligt war.
3 weitere Personen haben Verbindungen zur Miami Ad School, zum Beispiel Sam Shepherd, Art Director und Menno Kluin, Executive Creative Director bei DDB NY. Das wirkt schon alles mehr als inszeniert. Wurden die Tweets extra für die Kampagne geschrieben? War es gar so, dass man zuerst nach Storyboard die Szenen auf Haiti filmte, die dortigen Akteure einen noch nicht existierenden Tweet vorlesen liess, um die Tweets erst später von in der Werbebranche befreundeten Kollegen verfassen zu lassen? So á la: „Hey Michael, könntest du bitte am 2. Oktober folgenden Tweet schreiben: … Wir brauchen das für eine Kampagne. Danke und beste Grüße. Name.“ Fragen über Fragen.
Alles Zufall?
Ich finde, dass DDB ein ungeheures Potential dieser grundsätzlich guten Idee verschwendet hat. Man möchte Menschen zum Umdenken anregen, auf ernsthafte Probleme der Welt aufmerksam machen. Stattdessen bedient man sich vermeintlicher Fake-Tweets, die dem Betrachter der Kampagne eine falsche Wahrheit suggerieren, aber die Kampagne schön rund aussehen lassen. Wahrscheinlich war man aber entweder nicht bereit in eine tiefergreifende Twitter Recherche einzusteigen, oder aber es fehlte die Zeit, was sie in der Werbebranche prinzipiell tut.
Im DDB Blog steht zur Kampagne folgendes:
The campaign features 30 custom online video responses to Twitter users employing the #FirstWorldProblems hashtag, in addition to a 60-second online „anthem“ video.
Bisher sind auf dem YouTube Kanal nur 8 Videos zu sehen, plus das „Anthem“. Dieser Artikel bezieht sich auf die bisher veröffentlichten 8 Videos. 30 Videos würden die ganze Kampagne vielleicht wieder in ein ehrlicheres Licht rücken, oder aber die Vermutung noch verschlimmern. Das kann ich nicht sagen. Momentan erscheint es einfach so, dass DDB eine Kampagne entwickelte, die möglichst viele Awards gewinnen soll. Schade.
Abschliessende Gedanken
Ja, es ist wichtig, dass alle Menschen Zugang zu sauberem Wasser haben. Ja, es stimmt, die vermeintliche „Erste Welt“ hat anders gelagerte Probleme als die sogenannte „Dritte Welt“. Ja, in der „Dritten Welt“ sterben täglich Menschen, weil ihnen der Zugang zu sauberem Wasser und zu ausreichend Nahrung fehlt. JA, DAS IST SCHLIMM!
ABER: Natürlich darf man Kampagnen ausschliesslich für Awards produzieren, allerdings sollte das für die Öffentlichkeit transparent dargestellt werden. Und nein, es ist trotz allem nicht ok, wenn für eine solche Kampagne die Werbeempfänger vermeintlich getäuscht werden. Natürlich habe ich für all das keinerlei Beweise, ausser die oben geschriebenen.
P.S. Auf diese Kampagne bin ich über reddit aufmerksam geworden. Nachdem mir die Tweets alle etwas seltsam vorkamen und ich zu recherchieren begann merkte ich, dass ich nicht der Einzige bin, dem die Kampagne irgendwie seltsam vorkommt.
gut recheriert! wäre ja ein „dickes ding“.
ich werde das mit grossem interesse weiter beobachten.
sonnige grüsse
tobias
Na ja, ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass das so ein „dickes Ding“ wäre. Was ich verwerflich finde ist die Intransparenz bei der Geschichte. Und ab einem gewissen Level geht es innerhalb der Agenturlandschaft meist sehr stark um diese Kreativrankings, in denen Werber Werber bewerten. An sich schon ein kleines Paradoxum.
da stimme ich dir zu!!!