Das Spiel mit den Ängsten der Bürger – Stuttgart vor der Volksabstimmung

Floyd 4 Kommentare Polit(r)i(c)k

Noch wenige Tage und dann soll der Streit um Stuttgart 21 durch die Volksabstimmung „befriedet“ werden. Dass kurz vor der Volksabstimmung alle Seiten nochmals einige verborgene Dokumente ins Medienlicht rücken. Geschenkt. Sogar der Oberbürgermeister Stuttgarts, Herr Wolfgang Schuster, ist sich nicht zu schade und lässt einen dreiseiteigen Brief an alle Stuttgarter Bürger schreiben. Kostenpunkt: 130.000 Euro. Ebenfalls geschenkt. Die Meinungen sind verfestigt, Wechselwillige findet man kaum noch. Wer sich begriffsstutzig gibt und auf die monatelangen Finten der Bahn und der CDU/FDP/SPD noch einen Pfennig Cent gibt, dem sei gesagt:

Die Angst vor der Angst und unsere Politiker

ES GEHT NICHT UM EINEN BAHNHOF!

Die Ausstiegskosten für dieses Projekt können sich beide verstrittenen Parteien hindrehen, wie es ihnen beliebt. Ebenso den Stresstest und die Berechnungen. Auch diese werden von beiden Seiten ganz selbstverständlich unterschiedlich interpretiert. Auf der einen Seite ist der Kopfbahnhof leistungsstärker, auf der anderen der Tiefbahnhof. Für Bürger sehr schwer zu entscheiden, wer da die Wahrheit spricht.

Eines kann ich aber ganz genau sagen: das ureigenste Interesse dieses Projekts galt und gilt der Stadtentwicklung. Flächen werden frei, mit denen Geld verdient werden kann. Sehr viel Geld. Was interessiert da ein Bahnhof? Die Schlichtung im letzten Jahr ist am Thema vorbeigelaufen. In nur einer Schlichtungsrunde ging es um Stadtentwicklung. Das hauptsächliche Bild der Schlichtung waren aber die Momente, in denen sich die verhärteten Fronten jeweils als „Sieger“ wähnten. Falls es noch niemandem aufgefallen sein sollte: es wird bei dieser Diskussion keine Sieger geben!

Die Gemeinsamkeit der beiden zerstrittenen Lager

Seit Jahren fragen sich die Bürger und Medien, welche Gemeinsamkeiten Gegner und Befürworter von Stuttgart 21 haben. Die richtige Antwort darauf lautet: Angst schüren. Das ist das Verwerflichste, was Bürgern in diesem Land jeden Tag widerfährt. In der argumentativen Not wird zu vermeintlichen Argumenten gegriffen, die sich nach dem Entledigen ihrer blumigen Umschreibung als nackte Panikmache darstellen. Auf diese Art und Weise wird Stuttgart nie Ruhe finden. Wenn eine ernsthaftes Interesse an einer Befriedung der Lage in Stuttgart bestünde, so würden sich die beteiligten „Entscheider“ verantwortungsbewusst an einen Tisch setzen. So aber werden angstmachende Blendgranaten geworfen, die dem Konflikt in keinster Weise dienen, sondern diesen zusätzlich radikalisieren.

Sinngemäße Beispiele für Ängste, die innerhalb der Bevölkerung geschürt werden:

Wenn der Tiefbahnhof nicht gebaut wird, wird Stuttgart und das Land wirtschaftlich abgehängt

Wenn der Tiefbahnhof gebaut wird, wird ganz Stuttgart untergehen.

Der Ausstieg kostet 1,5 Milliarden Euro oder noch mehr.

Wir bauen diesen Bahnhof nicht für uns, sondern für die goldene Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder.

Wenn der Tiefbahnhof gestoppt wird, dann wird es auch keine Neubaustrecke geben.

Wenn der Bahnhof nicht kommt passiert in den nächsten 15 bis 20 Jahren nichts

Wenn S21 nicht kommt, kommt nicht K21 sondern G21, also gar nichts! Ohne Bahnhof keine Neubaustrecke!

Es geht um die Zukunft unseres gesamten Landes.

„Nein“ zu Stuttgart 21 wäre Horror für Stuttgart.

Über die Aufteilung der „Argumente“ kann man hinwegsehen. Über eines jedoch nicht: inzwischen sind die Bürger beider „Lager“ fast durchgängig zu Synchronsprechern ihrer jeweiligen „Führer_innen“ mutiert. Warum greifen die in den Medien auftauchenden „Führer_innen“ zu diesen bedrohlichen Mitteln? Ist dies rational erklärbar? Lassen wir uns so leicht manipulieren? Hey, wir Menschen sind doch nicht blöd! Das belegt sogar eine Studie der Uni Hohenheim.

Die Angst vor der Angst

Das Muster dahinter nenne ich „Angst vor der Angst“. Die Einen proklamieren die absolute Transparenz, eine Änderung des Politikstils, eine neue Ehrlichkeit und eine Einbindung der Bürger in wichtige Entscheidungen. Sie haben Angst, dass alles so weitergeht wie bisher. Die Anderen versuchen ihr bestehendes System aus Lobbyismus und Gefälligkeiten zu erhalten. Diese Seite hat Angst sich zu öffnen, Angst vor Neuem. So betrachtet könnte man sagen sie wären die Zukunftsverweigerer. Der mentale Trick dahinter: Beide Seiten wollen sich nicht aufeinander zu bewegen und sind sich dessen bewusst. Beim Spiegelfechter steht es sehr trefflich:

…Die wirklich entscheidenden Fragen kann oder will auch nach gut einem Jahr „heißer“ Auseinandersetzungen niemand beantworten. Die Anzeichen, dass bereits die Regierung Öttinger klare Warnsignale erhalten hat, dass der geplante Finanzierungsrahmen schon vor Jahren unrealistisch war, mehren sich. Somit hätte das gesamte Projekt spätestens zu diesem Zeitpunkt erneut auf den Prüfstand gehört…

Von diesen Warnsignalen ist die Rede. Wie viele Menschen sich auch immer Mühe geben um Fakten aufzudecken, den Verantwortlichen des Projekts wird dies egal sein.

27. November: Entscheidung auf Grundlage des eigenen Verstandes

Am Sonntag soll es nun soweit sein. Jetzt, nachdem die Pro/Gegen S21 Sprecher_innen die Bürger mit Ängsten vollgestopft haben, sollen diese „rational“ über den Bahnhof in Stuttgart entscheiden. Dies wird aber nur gelingen, wenn man Realität von Wunschdenken trennen kann. Daher meine Bitte: lasst euch von den Angst-Argumenten nicht erschrecken, aber bitte bitte, informiert euch! Ja, ich bin ein Gegner dieses Projekts. Inzwischen habe ich gelernt, dass man mit Fakten am einfachsten argumentieren kann. Auch wenn mir jemand gegenübersteht, der „Stuttgart 21“ und „Fortschritt“ in einem Satz erwähnt. Fortschritt ist eben subjektiv.

Was ich jedoch nicht akzeptieren möchte ist das Vorgehen aller beteiligten Parteien, Verbände, Politiker, etc. Man schaue sich an, was z.B. User auf Facebook schreiben. Nicht die Menschen dort haben sich radikalisiert und entzweit, sondern die Verantwortlichen beider Lager haben nicht wenige unserer Mitbürger dazu gebracht, so hasserfüllt miteinander umzugehen.

Kommentar auf der Für Stuttgart 21 Facebook Seite

Eine kleine bescheidene Bitte, die nicht erfüllt wird

Liebe politisch Verantwortliche und liebe Vertreter in den Medien: Hört bitte auf Angst zu schüren, denn Angst ist keine gute Grundlage für eine zu treffende Entscheidung. Natürlich gilt dies ebenso für uns als Bürger_innen.

4 Meinungen zu “Das Spiel mit den Ängsten der Bürger – Stuttgart vor der Volksabstimmung

  1. Pingback: Unzulässige Wahlwerbung durch Oberbürgermeister Wolfgang Schuster | An alle BürgerInnen der Stadt Stuttgart – u.A.w.G. Um Antwort wird gebeten!

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