Das kann man sich gar nicht ausdenken. In Stuttgart gehen die Bauarbeiten beim geplanten Tiefbahnhof laut Stuttgart 21 Lenkungskreis nicht schnell genug voran. Trotz permanenter Aufstockung von Bauarbeitern bleibt der Baufortschritt hinter den Erwartungen zurück, berichtete Volker Kefer, Bahnvorstand, auf Nachfrage. „Die Fertigstellung bis 2022 sei in ernster Gefahr“, heisst es aus dem grünen, feinverstaubten Kessel. Experten des Arbeitskreises „Baufortschritt jetzt“ haben nun den Grund der Verzögerung gefunden:
Im Gorillagehege des neuen Affenhauses der Wilhelma stehen schon wieder Bauarbeiter an.
Bemerkenswert, dass der Arbeitskreis so offen und transparent berichten darf. Das sei nicht selbstverständlich für dieses Projekt, erklärte der ehemalige Projektsprecher Wolfgang Dietrich. Zu seiner Zeit habe es so etwas nicht gegeben.
Nun planen die Projektverantwortlichen die Eröffnung eines zusätzlichen Gorillageheges am Hauptbahnhof, damit die Bauarbeiter nicht ständig vor dem Affenhaus in der Wilhelma nutzlos herumstehen. Mit Affen den Fertigstellungstermin halten. Bei diesem Projekt scheint wirklich alles möglich.
Wir bewegen uns immer stärker auf genormte Innenstädte zu. Große Einkaufstempel werden errichtet, die einkaufswillige Masse durchgetrieben, um sie dann mit vollen Tüten via Einkaufsshuttle zum nächsten Tempel zu schippern. In Stuttgart ist dies durch Stuttgart 21 und den kompletten Stadtumbau noch viel deutlicher zu spüren. Wir werden in Konsumkapellen ertrinken.
Jetzt, also gefühlt seit 20 Jahren, kommt aber zusätzlich zu der Stadtumkrempelung dieser Online Handel, der dem stationären Handel den Rang abläuft. Wir können das nicht stoppen. Zurück aus dem Urlaub entdeckte ich, dass Hirrlinger, das letzte lokale Fotogeschäft in der Stuttgarter Innenstadt, dicht machte. Das macht mich sehr traurig. Der letzte Ort, an dem man noch analoge Filme, Chemikalien für die Entwicklung, etc. kaufen konnte. An der Tür hängt ein Zettel, der krasser nicht sein könnte:
Foto Hirrlinger schließt seine Türen zum 31.07.2014
…Doch leider hat sich durch den Online-Handel das Kaufverhalten und dadurch die gesamte Branche soweit verändert, das selbst ein Stuttgarter Traditionsunternehmen das zwei Weltkriege überlebt hat, sich den Internet-Großkonzernen geschlagen geben muss…
Nun mag man den Besitzern vorwerfen, dass sie das Internet, die Digitalisierung im Allgemeinen, verschlafen haben. Man kann ihnen auch vorwerfen, dass ihre Preisgestaltung im Vergleich viel zu teuer war. Man kann ihnen vorwerfen, dass die Lage in der Stuttgarter Innenstadt für ein lokales Fotogeschäft nicht mehr rentabel ist. Ach, man könnte genügend Vorwürfe finden, aber: egal, wie man die Weichen gestellt hätte. Der lokale Einzelhandel hat gegen die Preisgestaltung von Internet-Großkonzernen zunächst wenig Chancen. Aber, um die Klammer zu schließen: spätestens die Umgestaltung unserer Stadt wird zeigen, dass der lokale Einzelhandel sowieso dem neuen Stadtbild mit seinen Tempeln weichen wird. Zukünftig werden die Menschen nämlich nicht mehr merken, ob sie durch die Innenstadt in Hamburg, Köln, Stuttgart oder sonstwo laufen. Alles wird gleich.
Als Ergänzung hierzu noch die reißerische Frontal 21 Dokumentation über die Samwer Brüder. Die Bewertung überlasse ich euch. Ihr seid schlau.
Das wollte ich nur noch mal festgehalten haben, um mich dann in 10 Jahren darauf beziehen zu können. Wie konnte Stuttgart 21 durchgewunken werden, obwohl man auf Entscheiderebene eigentlich dagegen war? So funktioniert das eben. Den Stadtnamen dürft ihr natürlich gerne ersetzen.
Da haben sich ja zwei gefunden. Heiner Geißler, seinerzeit Schlichter beim Projekt Stuttgart 21, sieht keinen anderen Weg, als Stutgart 21 zu realisieren. Zitat Spiegel:
Der frühere Schlichter im Streit um Stuttgart 21, Heiner Geißler, sprach sich am Montag für eine Fertigstellung des Bahnhofs aus. Die steigenden Kosten seien ein „lösbares Problem“, sagte Geißler. „Ich finde, für ein solches Projekt muss das Geld da sein.
Da echauffieren sich jetzt Menschen, aber bereits damals hatte Geißler die Devise „Weiterbauen“ mit nötigen Verbesserungen im Schlichterspruch kundgetan. Ein simples „Plus“ beruhigte seinerzeit einige Gemüter. Jetzt ist Geißler egal, wie viel das Projekt kosten wird. Als Attac Mitglied meint er, dass für so ein Projekt also Geld da sein muss. Stimmt, Geld ist immer da. Die Frage ist nur, aus wessen Geldbeutel man sich bedient? Auch wenn das nicht in den Kontext passt. Die verfälschte Umfrage mit dem Thema „Was ist gerecht?“ ist eine weitere Farce, die eines offenlegt. Bei allem Aufschwung, den uns die liebe CXU, FDP, etc. über die letzten Jahre medial unter die Nase gerieben haben (gemeinsam mit der INSM), bleibt festzuhalten: bei mir kam davon nichts an. Ehrlich. Ich würde das zugeben.
Und jetzt eure Bundeskanzlerin
Der Aufregung noch nicht genug, stimmt gleich noch die Regierungskoalition mit ein, allen voran natürlich eure Bundeskanzlerin. Im vermeintlichen Wissen, dass die 2,3 Milliarden Mehrkosten (inklusive angeblicher 1,2 Mrd. Sicherheiten) noch nicht das Ende der anstehenden Kosten sind, äusserte Frau Merkel einen tollen Wunsch, doch keiner weiss so richtig, wie dieser umgesetzt werden soll:
(…) will die Regierungschefin das Aus des Bahnprojekts verhindern. Die bundeseigene Deutsche Bahn soll deshalb als Bauherrin alles daran setzen, S 21 billiger zu bauen sowie Land und Stadt an den Mehrkosten von bis zu 2,3 Milliarden Euro zu beteiligen. (…)
ICH WILL DAS PROJEKT. ICH WILL DIESES VERDAMMTE STUTTGART 21. ICH WILL DAS ALLES. JETZT. ICH BIN DEUTSCHLAND. ICH BIN DEMOKRATIE. ICH WILL WIEDER GEWÄHLT WERDEN. ICH WILL, DASS ALLES LÄUFT, WIE ICH DAS SAGE. ICH WILL. ICH WILL. ICH WILL. ICH WILL MICH BRÜSTEN, DASS DEUTSCHLAND EIN ZUKUNFTSLAND IST.
P.S. Als kleiner Tipp: vielleicht hilft „Bitte, bitte“ weiter.
Was haben wir am Wochenende gelacht. Stuttgart 21 wird nun deutlich teurer. Das sollte niemanden überraschen. Doch die Presse stürzt sich darauf wie der böse weiße Hai auf die schwimmenden Menschen. Die Summe reicht von einem dreistelligen Millionenbereich bis hin zu über einer Milliarde Euro. Würde die Bahn die wahren Zahlen kommunizieren, dürfte der Betrag deutlich darüber liegen, doch man muss die von Nachrichten ermüdeten Leser bei der Stange halten. Folglich werden die Kostensteigerungen, wie immer bei Großprojekten, in kleinen, verdaulichen Häppchen serviert. Bei der anstehenden Bauzeit dürfte das ein leichtes Spiel sein.
Am Montag, 22. Oktober 2012, trifft sich der Lenkungskreis von Stuttgart 21. Einen Tag nach der Wahl des neuen Oberbürgermeisters. Die Modeworthülsen „Transparenz“ oder „Bürgerbeteiligung“ sind definitiv die aussichtsreichsten Anwärter auf das Unwort des Jahres 2012. Über die Kostensteigerungen sind alle Beteiligten des Lenkungskreises seit 2 1/2 Wochen im Bilde. Zumindest steht in der Geschäftsordnung des Lenkungskreises (PDF Datei) auf Seite 2 folgendes:
Kein schwarzes Schaf im Lenkungskreis: es gilt die Gesichtswahrung – Bild: thomsson / CC BY 2.0